Digitale Promos - Ja oder Nein?

Sonntag, 21. August 2016

Jeder der im Musik und Metalzirkus irgendwie aktiv ist steht früher oder später vor der Frage:

Wie geht man mit digitalen Promos um?
Das Problem dabei für alle Seiten und Beteiligten (!) ist nachvollziehbar, die Veröffentlichungsflut reißt nicht ab. In manchen Monaten stehen nicht selten 100 Veröffentlichungen auf dem Plan. Und das sind oftmals nur die in einem Genre relevanten.  Das Problem daran aber ist, dass die Medaille zwei Seiten hat. Labels und Bands hören oft den Spruch: "Sorry wir besprechen nur noch physische CDs, am besten finale Releases."
So sehr ich dass angesichts der VÖ Flut und der chronischen Überarbeitung der Redakteure, die ihre Freizeit dafür opfern, im Ansatz nachvollziehen kann, so sehr muß ich aber auch sagen: Das ist eine verdammt einseitige und egoistische Herangehensweise liebe Zines & Redakteure. Stellt euch nur mal vor ihr seid nicht der alleinige Mittelpunkt der Szenewelt (*hust), sondern das Ganze ist eine Symbiose aus ALLEN Beteiligten. Musikern, Bands, Labels UND Zines/Blogs.
Vor allem Magazinen, die ein "Support The Underground" Banner vor sich her schwenken, oder andererorts (zurecht) in kritischen Berichten den Zustand der Club und Konzertlandschaft bemängeln messen hier mit zweierlei Maß.

"…liebe Zines & Redakteure, stellt euch nur mal vor ihr seid nicht der alleinige Mittelpunkt der Szenewelt…"

Wenn ihr mich fragt: es sollte immer der individuellen Verantwortung und Entscheidung eines Redakteurs obliegen, ob er eine Band vorstellt und bespricht. Unabhängig davon, ob die Promo als CD im Briefkasten oder als Download Link im eMail Postfach landet. Wer grundsätzlich digitale Promos ablehnt, weil er mit der Masse an VÖs überfordert ist, der hat vielleicht einfach das falsche Hobby. Man sollte sich zumindest ein wenig mit den Mechanismen im Musikgeschäft auseinander setzen wenn man sich anschickt "qualifiziert" über selbiges zu schreiben. Warum?  Na werfen wir mal einen Blick auf die Kehrseite der Medaille:

Es gibt auch eine Zine/Blog Flut!

Es gibt nämlich nicht nur hunderte von Veröffentlichungen, sondern auch hunderte von Zines und Blogs mit mehr oder weniger gewichtiger Relevanz. Wir schreiben das Jahr 2016. Bands und Labels haben dank einer technischen Entwicklung die sich "Internet" nennt, die Möglichkeit mit einem Klick nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern Europa und Weltweit für ihr musikalisches Schaffen um Aufmerksamkeit zu werben. Genauso wie ihr, liebe Zines, dank der gleichen Technik die Möglichkeit habt eure Ergüsse einem größeren Publikum zugänglich zu machen, anstatt es wie früher für teuer Geld 200x im Copyshop vervielfachen zu müssen und dann zuzusehen, wie ihr es auf ein paar Konzerten mühsam an den Metalhead bringt ...
Und jetzt versetzen wir uns mal in die Lage kleiner Labels und Bands, welche oftmals mit Stückzahlen ihrer CD in die Erstpressung gehen, die in keinem Verhältnis zu der Anzahl an Zines stehen, die so selbstbewusst auf die Zusendung ausschließlich physischer Tonträger (am besten finale Releases) bestehen. Ihr verlangt pauschal von allen Bands und Labels, auch denen, die vielleicht nur 300 oder maximal 500 Tonträger produzieren lassen (welche sie dann mühsam auf ihren Konzerten, in Mailordern oder über eBay, Amazon etc an den Mann/die Frau die bringen müssen) ernsthaft, euch (weil es ja NUR euch als einzig relevantes Magazin gibt ?!) eine physische CD um überhaupt beachtet zu werden?! Leute habt ihr gerafft welches Jahr wir schreiben? Wie sich das gesamte Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Wie sich auch CD Verkäufe in den letzten 10 Jahren entwickelt haben?

"habt ihr gerafft welches Jahr wir schreiben?  [...] In Zeiten in denen eine Band, selbst mit Labelvertrag mühsam 200-300 Exemplare verticken kann, soll sie 500 finale Releases an möglichst jedes Zine versenden?"

Ich kann euch sagen: Ihr seid nicht das einzige Zine auf der Welt. Bands und Labels stehen vor der Aufgabe einer drei bis vierstelligen Anzahl an Zines und Blogs jeweils ein Exemplar ihres Releases zukommen zu lassen. Finale Releases? Seriously?  Bei den Auflagen die sich kleine Bands und Labels oftmals nur leisten können? Oder dürfen dann nur noch Major Labels öffentlich Erwähnung finden? Willkommen in den 80ern. Oder im Pop Business. Dolle Wurst.
Ganz zu schweigen von den Bands, die ihre Eigenproduktion grundsätzlich nur über Bandcamp, Spotify und iTunes einer größeren Käuferklientel zuugänglich machen können.


Undergroundsupport? My Ass!
Wer kann es sich denn leisten euch alle mit finalen Releases auszustatten? Angesichts der Umstände und der Tatsache, dass digitale Verkäufe abhängig von Szene und Genre mittlerweile 20% bis 70% aller Verkäufe ausmachen? Ihr jammert einerseits über den großen kommerziellen Oktoberfest Zirkus in Wacken, gebt euch einen elitären Anstrich - und verwehrt gleichzeitig dem Teil dieser Szene, der seit fast 30 Jahren die selbige mit Innovationen und neuen Inspirationen speist, eure Beachtung.  Habt ihr mal drüber nachgedacht wie es wäre, wenn sich eure Leser in Zukunft einen Scheiß um eure Website kümmern und stattdessen verlangen, ihr möget ihnen stattdessen doch ein physisches Exemplar vorlegen? Die wenigsten von euch können sich an solche Zeiten überhaupt noch erinnern, verstehen für sich selbst aber eine technologische und schlichtweg nicht mehr aufzuhaltene Entwicklung als Selbstverständnis, die sie anderen zugleich verwehren. Dann darf sich diese Szene aber nicht wundern wenn sie eines Tages nur noch das 53. belanglose Sabaton Album mit irgendwelchen 0815 Riffs vorgeklatscht bekommt und man auf Metallica und Maiden Konzerte rennen muß, selbst wenn die Musiker der Bands mit 70 Jahren kaum noch über die Bühne krauchen können, weil alles andere sich in den Ruin gewirtschaftet hat oder schlichtweg nicht beachtet wurden.

"Ihr müsst nicht jeden Scheiß besprechen, nur weil es sich die Band/das Label leisten kann euch eine CD zu schicken. Das macht die Musik nicht relevanter und nicht besser."


Die Verantwortung der Selektion
Im Ernst: Es ist keine journalistische Qualität nach "digitaler" und "physischer" Promo CD zu selektieren.  Es verlangt ja niemand jeder Bemusterung mit einem Review nachzukommen. Dieses Anspruchsdenken müssen zugegeben auch Bands und Labels ablegen. ABER: Als jemand der es sich zur Aufgabe macht über Musik, Bands und Alben zu schreiben, sollte man sich auch der Verantwortung stellen eine Auswahl zu treffen. Und diese Auswahl kann anno 2016 nicht nach dem Schema "Tonträger = Top, Digital = Flop" getroffen werden, weil dieses Kriterium NICHTS aber auch GAR NICHTS mit der MUSIK zu tun hat, die wir alle lieben!
Nur weil es sich eine Band/ Label leisten kann euch eine CD zu schicken, macht es die Musik nicht relevanter und nicht besser. Ihr müsst nicht jeden Scheiß besprechen nur weil er auf einem Silberling geliefert wird, der eh nur in eurem Regal verstaubt nachdem er sauber gerippt auf euren Smartphones landet. Und ihr müsst aber genausowenig alles ablehnen, nur weil es euch als MP3 zukommt. Das macht die Musik nämlich nicht unrelevanter oder schlechter. Es obliegt als Herausgeber, Redakteur, oder freier Mitarbeiter eurer Verantwortung dem Leser zu vermitteln was es an Veröffentlichungen erwähnenswertes gibt. Da sollte man erwarten können, dass ihr zu mehr in der Lage seid, - als nach "digital" und "CD" zu selektieren. Oder soll das der alleinige Anspruch sein, den eure Leser an euch stellen? Im besten Fall ist das nämlich einfach nur Bequemlichkeit. Im schlechtesten Fall schlichtweg Ignoranz.

Es ist anno 2016 überhaupt kein Problem die Promolinks in eMails anzuklicken, wenigstens kurz reinzuhören und DANN zu entscheiden: "Hab ich Bock mich damit zu beschäftigen und ein paar Zeilen zu schreiben, oder kann man von dem Label im speziellen erwarten mir ne finale CD zu schicken?" Pauschale Vorselektion ist jedenfalls in dem Zeitalter in dem wir leben keine besondere redaktionelle Leistung. Wenn euch dieser eine Schritt mehr schon zu viel ist, dann verlangt nicht von euren Lesern, das sie euch abnehmen euch ginge es irgendwie nur und vor allem um die Musik.

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